Wie Lehrkräfte Mädchen in Mathe gezielt und ohne Vorurteile unterstützen können - Mädchen vor eine Matheaufgabe an der Tafel
Symbolbild - © Firefly

Mädchen sind in Mathe oft erfolgreich – halten sich aber dennoch für weniger kompetent

Warum gilt Mathematik überhaupt als „Jungenfach“? Welche Rolle spielen die Lehrkräfte und wie wirken Geschlechterstereotype im Unterricht?

Auszug aus dem Interview mit Dr. Bettina Hannover, Professorin für Schul- und Unterrichtsforschung:

Warum gilt Mathematik überhaupt als „Jungenfach“?

Mathematik ist stark mit dem sogenannten Brilliance-Stereotyp verbunden – also der Vorstellung, dass man
für dieses Fach ein angeborenes Talent brauche, um wirklich gut zu sein. Dieser sogenannte Brilliance-Belief
ist besonders in Mathematik und anderen Naturwissenschaften verbreitet. Gute Leistungen in diesen Berei-
chen werden seltener m Fleiß oder Anstrengung erklärt, sondern vielmehr mit einer „besonderen Begabung“,
die man entweder habe oder nicht. Dabei zeigt sich in der Forschung deutlich, dass dieses vermeintliche Ta-
lent häufiger Jungen zugeschrieben wird, während Mädchen eher als fleißig, gewissenhaft oder gut vorberei-
tet gelten.

Wie wirken sich diese Stereotype konkret im schulischen Kontext aus?

Aus d Forschung weiß man, dass Lehrkräfte ihre eigenen Gender-Stereotype häufig – meist unbewusst – auf Kinder übertragen, was messbare Auswirkungen auf deren Motivation hat, besonders in Fächern, die als nicht zu ihrem Geschlecht passend gelten. Diese Einflüsse zeigen sich oft subtil: Lehrkräfte sind in ihrem Verhalten von den Erwartungen beeinflusst, die sie an ein Kind haben. Trauen sie einem Kind viel zu, geben sie ihm an-
spruchsvollere Aufgaben und mehr Zeit zum Antworten; bei geringen Erwartungen sind die Aufgaben leichter und die Geduld geringer.

Kinder spüren diese Unterschiede im Verhalten und interpretieren sie als Hinweise auf ihre Fähigkeiten, was sich in ihrem Selbstkonzept eigener Fähigkeiten niederschlägt. Dieses Selbstkonzept beeinflusst wiederum
das Verhalten des Kindes: Wer sich viel zutraut, bleibt motiviert und versucht es weiter, während ein geringes Selbstkonzept zu Unsicherheit und vorzeitigem Aufgeben führt. Gerade bei Mädchen wird die Entwicklung ei-
nes positiven Fähigkeitsselbstkonzepts in Mathematik und den Naturwissenschaften auf diese Weise oft un-
tergraben: sie halten sich selbst seltener für „wirklich gut“ in Mathe, selbst wenn ihre Noten objektiv stark sind.

Welche Methoden können Lehrkräfte im Unterricht einsetzen, um unbewussten Geschlechter-Erwartungshaltungen entgegenzuwirken?

Es gibt viele Methoden, von Rollenbild-Interventionen bis zu genderneutralen Lernmaterialien. Entscheidend
ist jedoch eine differenzierte Unterstützung: Zum Beispiel sollten Mädchen in Mathematik gezielt und häufig lernbezogenes Feedback erhalten – nicht bloß Lob, sondern konkrete Hinweise wie „Hier bist du schon einen Schritt weiter“ oder „Hier hast du das Prinzip richtig angewendet, aber einen kleinen Rechenfehler drin“. So werden negative selbstbezogene Gedanken verringert und Mädchen besser begleitet, gerade wenn sie sich selbst unsicher sind oder wichtige Vorerfahrungen fehlen.

Viele Mädchen halten sich in Mathematik oft für weniger kompetent, obwohl ihre Noten objektiv gut sind. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz, und wie ließe sich ihr Fähigkeitsselbstkonzept nachhaltig stärken?

Es gibt spannende Befunde, die zeigen, dass Noten unser Fähigkeitsselbstkonzept beeinflussen – vor allem durch sogenannte internale Vergleiche. Dabei vergleichen Schülerinnen u Schüler ihre Leistungen in verschie-
denen Bereichen, zum Beispiel Mathematik und Naturwissenschaften mit Geistes- und Sprachfächern. Wenn sie in Sprachen stärker sind, neigen sie dazu, ihre Kompetenz in Mathematik und Naturwissenschaften zu un-
terschätzen. Dieser Mechanismus führt dazu, dass sie sich in Fächern, in denen sie eigentlich gut sind, wenig zutrauen, was sich negativ auf ihre Motivation auswirkt.

Wie können Lehrkräfte in solchen Situationen gezielt unterstützen?

Fähigkeitsselbstkonzepte im Unterricht stärker z thematisieren, wäre eine wirkungsvolle Maßnahme. Oft wird mit Kindern und Jugendlichen zu wenig auf der Metaebene darüber gesprochen, wie sie sich selbst als Ler-nende und Wissende wahrnehmen. Dabei ist genau das für selbstgesteuertes Lernen entscheidend: Ein realis-
tisches Bild der eigenen Fähigkeiten ist nötig, um sich selbstgesteuert realistische Ziele zu setzen und Schwä-
chen zu überwinden. Lehrkräfte könnten deutlich mehr dafür tun, dass Schülerinnen und Schüler weniger von der Bewertung d Lehrkraft abhängig sind u stattdessen befähigt werden, sich selbst realistisch einzuschätzen. 

Damit lässt sich bereits in der ersten Klasse beginnen: Auch Grundschulkinder kann man mit Beispielen zum Nachdenken bringen: Was passiert, wenn ein Kind denkt, es könne etwas nicht? Macht das dann Spaß? So las-
sen sich früh Reflexionen darüber anregen, wie Gedanken über uns selbst unsere Emotionen und unser Verhal-
ten beeinflussen – das kann man im Grundschulalltag gut vermitteln. 

Prof. Dr. Bettina Hannover
forscht an der Freien Universität Berlin zur Rolle des Selbst in schulischen Kontexten. Sie untersucht, wie kognitive, soziale und kulturelle Faktoren – etwa Geschlechterrollenstereotype oder kulturelle Selbstkon-
zepte – die Identitätsentwicklung, Lernmotivation und Interessen von Schülerinnen und Schülern beein-
flussen. Weitere Schwerpunkte sind Lehrkraft-Schüler-Beziehungen, Diskriminierungserfahrungen und die professionelle Kompetenz von Lehrkräften.

>>> zum vollständigen Interview: „Mathe ohne Vorurteile“ (externer Inhalt)

Quellen/Urheberrechtshinweis
Alle Rechte an dem Artikel sowie an dessen Auszug liegen ausschließlich bei Prof. Dr. Bettina Hannover als auch bei dem Online-Magazin „Schulmanagement“.

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