Junge wird in einer Grundschulklasse von Mitschülern gemobbt
Ein Junge wird in der Grundschule gemobbt (Symbolbild)

»Im Durchschnitt werden pro Klasse etwa ein bis zwei Kinder ausgeschlossen oder leiden unter Mobbing«

Was, wenn der Schulbesuch zum Spießrutenlauf wird? Wenn niemand mit einem zusammenarbeiten will? Wenn man in den Pausen alleine bleibt?

Prof. Dr. Jeanine Grütter von der Universität Konstanz erforscht, welche sozialen Dynamiken sich in den
Klassenzimmern heute abspielen. Insbesondere untersucht sie Diskriminierung und Vorurteile in Schul-
klassen. Ein Gespräch.

Auszug aus dem Gespräch:

Laut einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung verlassen Zehntausende von Jugendlichen in Deutsch-
land die Schule ohne Abschluss. 2021 waren es 47.500 junge Menschen. Könnte ein inklusiveres, offene-
res Schul-Milieu diese Kinder besser auffangen?

Jeanine Grütter: Auf jeden Fall. Die Pisa-Daten zeigen, dass das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule seit 2003 stark abgenommen hat, vor allem b Jugendlichen, aber auch schon im jüngeren Alter. Wer Schule nicht als etwas Sinnvolles erlebt, ist oft nicht mehr bereit zu lernen, etwas zu investieren. Genau da halte ich es für
sehr wichtig, inklusivere Schulen zu gestalten, die die Kinder so akzeptieren, wie sie sind, und auf die Inter-
essen der SchülerInnen und ihre Stärken eingehen.

Wo liegen heute die Herausforderungen, wenn wir die Zusammensetzung der Schulklassen betrachten?

Die Diversität, Vielfalt in den Schulklassen hat unter anderem infolge wachsender Migration zugenommen.
Dazu kamen Änderungen im Schulgesetz, zum Beispiel, dass Kinder mit besonderem Bildungsbedarf in der Regelschule beschult werden. Das sind Kinder, die aufgrund v Behinderung, Lernstörungen oder sozio-emo-
tionalen Entwicklungsverzögerungen zusätzliche Unterstützung brauchen, um am Unterricht teilnehmen zu
können. Die Corona-Pandemie hat Schulen zusätzlich belastet, weil sozio-emotionale Probleme bei Kindern
und Jugendlichen stark zugenommen haben.

Trotz Bemühungen für eine inklusivere Schule haben wir leider immer noch ein stark segregiertes Schulsys-
tem. Abhängig vom Wohngebiet gibt es zum Beispiel Schulen, die über 70% Kinder mit Migrationshinter-
grund oder a sozial benachteiligten Verhältnissen unterrichten. Das heißt, leider findet nicht so viel Durch-
mischung statt, wie man sich d wünschen würde. Auch in Punkto Chancengleichheit hat sich leider in den
letzten Jahren nicht viel getan.

Führt mehr Diversität auch dazu, dass mehr Kinder ausgegrenzt, diskriminiert werden?

Mehrere Studien haben untersucht, wie sich Diversität auf d soziale Gefüge in Schulklassen auswirkt, mit unterschiedlichen Befunden. Die einen sagen, je unterschiedlicher die Klasse sei, desto mehr Diskriminie-
rung gebe es, vor allem vonseiten der Kinder, die der sozialen Mehrheit angehören. Andere Studien stellen
fest: Je diverser die Schule ist, umso stärker werden Vorurteile abgebaut und umso toleranter werden die
Kinder und Jugendlichen. Unsere eigenen Studien zeigen, dass es stark von den Schulen selbst abhängt,
ob Diversität positive Erfahrungen bei den SchülerInnen ermöglicht. Es geht vor allem darum, wie dort mit Unterschiedlichkeit umgegangen wird.

„Wenn ein Kind aufgrund von seiner Zugehörigkeit benachteiligt wird oder negative Erfahrungen macht. Dies kann auf sprachlicher Ebene geschehen, dass ein Kind beschimpft wird oder Gerüch-
te verbreitet werden. Diskriminierung kann aber auch aggressives, gewaltsames Verhalten bein-
halten. Hintergrund ist ähnlich wie bei Mobbing oft ein Machtungleichgewicht im Klassengefüge.
Im Durchschnitt werden pro Klasse etwa ein bis zwei Kinder ausgeschlossen oder leiden unter Mobbing.“

Prof. Dr. Jeanine Grütter

Weiter zu
>>> Teil 1 des Interviews: „Wie es zu Diskriminierung an Schulen kommt(Externer Inhalt)
>>> Teil 2 des Interviews: „Wie Schulen und Lehrkräfte soziale Dynamiken positiv beeinflussen können“ (extern)

Urheberrechtshinweis
Alle Rechte an dem Interview liegen ausschließlich bei der Hochschuldozentin Jeanine Grütter sowie bei der Koordinatorin für Öffentlichkeitsarbeit und Wissenstransfer Claudia Marion Voigtmann und bei der Universität Konstanz/dem Fach Empirische Bildungsforschung.

Ergänzende Artikel und Informationen
>>> Rassismus in Grundschulen
>>> Erleben von Alltagsrassismus bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland
>>> Hate Speech – Kinder trifft ein hohes Risiko
>>> Migranteneltern investieren in Privatschulen, weil ihre Kinder an staatlichen Schulen diskriminiert und nicht ausreichend gefördert werden



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