Junger Politiker zuckt mit den Schultern - ist ratlos
Selten hat man Bildungspolitiker so ratlos gesehen (Symbolbild)

Nur Schulterzucken: Reaktionen auf die katastrophale IGLU-Lesestudie

Wenn Kinder nicht richtig lesen und schreiben können, dann verhindert das ihren zukünftigen Erfolg. Und mehr noch: eine funktionsfähige Demokratie. Die eigentliche Katastrophe aber sind die schulterzuckenden Reaktionen
auf den Befund der IGLU-Studie, findet Kolumnist u Netzlehrer Bob Blume.

Auszug aus der Kolumnne:

Soziale Herkunft und Migrationshintergrund ergeben einen Leistungsnachteil

Die Durchlässigkeit im Bildungssystem besteht vor allem nach unten
Der letzte Punkt ist besonders wichtig, weil die ersten Reaktionen, so beispielsweise d Philologenverbands, genau auf diese Leistung abhoben (wie eigentlich immer, wenn es um egal welches Thema geht): „Wir müs-
sen hier durchgängig konsequenter fördern, fordern und strenger werden!“, erklärte DPhV-Bundesvorsitzen-
de Susanne Lin-Klitzing. Nicht dass man etwas gegen konsequente Förderung sagen könnte. Aber was ge-
nau „strenger werden“ in einem dreigliedrigen System bedeutet, das lässt sich gut an den immer noch soge-
nannten „Brennpunktschulen“ sehen, die man eigentlich „Staatsvernachlässigte Schulen“ nennen müsste.
Der Grund, warum in diesen Schulen der Migrationsanteil so hoch ist, liegt nämlich nicht daran, dass ein Mi-
grationshintergrund ein Indikator für fehlende kognitive Kompetenzen wäre (auch wenn seit Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ diese Form der meist subtil vorgetragenen rassistischen Annahme gesellschaftsfähig geworden ist).

Wenn die Schule nicht fördert, findet keine Förderung statt.
Weil Förderung zu Hause bedeuten müsste, dass jemand fördern kann. Wenn die Eltern aber sowieso schon mehr arbeiten müssen, um das Geld für Wohnung, Essen und Kleidung bezahlen zu können, haben sie nicht
die Ressourcen, für eine Leseförderung zu sorgen. Und genau dieser Bestand sorgt dafür, dass soziale und migrationsbedingte Unterschiede (die korrelieren können, weil eine verfehlte Migrationspolitik in den 80er-,
90er- und teilweise auch noch den 2000er-Jahren verhindert hat, dass Einwandererfamilien der ersten und zweiten Generation so partizipieren konnten, dass nun genügend Kapital für Förderung vorhanden wäre) seit
20 Jahren nicht reduziert worden sind.

Soziale Herkunft und Migrationshintergrund ergeben einen Leistungsnachteil:
Wenn also davon die Rede ist, dass das „Leistungsprinzip“ wieder betont werden sollte, ist das als Bitte zu verstehen, doch wieder vermehrt die Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems zu nutzen. Die besteht nämlich tatsächlich, aber nur nach unten. Zumindest dann, wenn Eltern, die keinen höheren Schulabschluss haben, sich überhaupt dafür entscheiden, ihre Kinder trotz widriger Bedingungen in Realschule oder Gymnasi-
um zu schicken.

Rund 50.000 junge Menschen jährlich ohne Schulabschluss
Der Aufschrei müsste viel größer sein, viel nachhaltiger, viel gewaltiger. Wir müssten darüber sprechen, dass jetzt schon 50.000 junge Menschen keinen Schulabschluss haben. Auf Twitter las ich, das sei doch kein Ma-
kel, als wenn es eine eigene Entscheidung dieser Menschen wäre. Nein, es ist kein Makel, das gesamte Leben nach der Schule in einem Job unterbezahlt zu sein, aber wenn dies durch Zwang oder unterlassene Förderung geschieht, dann ist das ein Makel. Ein Makel der Bildungspolitik dieses Landes.

>>> zur Kolumne: „Die katastrophale Lesestudie und das große Schulterzucken“ (externer Inhalt)

Urheberrechtshinweis
Alle Rechte der Komumne als auch deren Auszug liegen ausschließlich bei dem Oberstudienrat Bob Blume als auch bei dem Deutschen Schulportal, eine Initiative der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart.

Ergänzende Informationen und Artikel (alle externe Inhalte)
>>> Website von Bob Blume
>>> über die IGLU-Studie (Wikipedia)
>>> Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung 2021 (IGLU) – (Laufzeit 01.03.2019 – 31.03.2023)
>>> Tagesschau: „Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen“

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