Erfahrungsräume in der Natur sind etwas ganz Besonderes. Um diese wertvollen Bildungsräume zu stärken, ist eine Natur- und Waldpädagogik wichtig, die unmittelbar und sinnlich vermittelt, wie Natur als Lebensgrundlage des Menschen wirkt.
Auszug aus der Arbeitshilfe:
Mit Kindern in die Natur
Verlässt man mit Kindern die sicheren vier Wände und sucht Wald, Feld oder Wiese auf, dann kann häufig folgende Beobachtung gemacht werden:
Die Kinder und Kindergruppen verhalten sich dort meist etwas anders als in geschlossenen Räumen – und
die Erwachsenen wahrscheinlich auch. Kinder, von denen man es zunächst nicht erwartet, öffnen sich red-
selig, während sie begeistert Blätter sammeln oder unermüdlich auf allen Vieren steile Hänge erklimmen
und hinunterrutschen.
Andere, eher unruhige Kinder kommen zur Ruhe und untersuchen tief versunken einen vermodernden Baum-
stumpf und beobachten einen Tausendfüßer. Wieder andere handeln lautstark untereinander aus, wann wel-
ches Kind den gerade gefundenen blauschillernden Käfer in der Hand halten darf – doch der hat ganz eigene Ideen und krabbelt unter staunenden Blicken am Anorakärmel hoch.
Situationen in der Natur sind oft von solchen besonderen Dynamiken, von eigenmächtiger Lebendigkeit und
von eigentümlichen Stimmungen geprägt. Sie eröffnen damit ausgezeichnete Möglichkeiten, um neugierig
zu sein und abenteuerlich und phantasievoll die Welt zu erkunden. Und dies alles hat immer mit viel Bewe-
gung zu tun.
Erfahrungsräume in der Natur sind eigenartig anders,
wenn man sie mit den häufig durchregelten und durchdachten Alltagsräumen vergleicht:
- Vieles ist in ihnen unbekannt, rätselhaft u geheimnisvoll, manches lebendigund eigensinnig, selbst der
Boden hat ein Eigenleben, ist ‚bewohnt’, uneben und unregelmäßig. Dramatisches kann sich ereignen,
wenn Ameisen große Insekten abtransportieren oder Libellenlarven im Teich die Molche angreifen. - Anderes wiederum hat wie der Pflanzenwuchs seine eigene Ordnung und Stabilität. So findet sich auch
viel Beruhigendes, wie Nischen und Ruheplätze unter Bäumen oder am gurgelnden Bach, die immer wie-
der aufgesucht werden.
Natur ist ein unverzichtbarer Bildungsraum
Wenn im gelebten Alltag die Natur immer mehr a den Rand gedrängt wird, dann ist es umso wichtiger, gu-
te Gründe zu haben, um auf Bäumen herum zu klettern, durch Matsch zu waten, Spinnen zu beobachten
oder Schnecken in die Hand zu nehmen. Anders als das Leben am Bildschirm erscheint dies nämlich nicht wenigen als zu gefährlich, zu dreckig, zu schleimig oder auch zu eklig. Aber womit kommen Naturräume Kindern, ihren Bedürfnissen und ihrem Bildungsprozess eigentlich entgegen?
Einige bildungsrelevante Aspekte zusammengefasst
- Die Neugier und der Wissensdrang werden geweckt und „gefüttert“, wenn Kinder spannende Gegen-
stände und erklärungsbedürftige Phänomene vorfinden. Hierbei geht es sowohl um Pflanzen, Tiere,
Wasser, Erde, Feuer, Luft usw. als auch um die Förderung einer generell offenen, neugierigen Haltung
als ‚Motor’ des Bildungsprozesses. - Die Vorstellungskraft und die Phantasie werden angeregt und ausgelebt, z.B. aufgrund merkwürdiger, suggestiver Figuren und Formen in der Natur. Hier ist nichts mit eindeutigem Spielzweck konstruiert.
Die Dinge und Atmosphären sind nicht zweckgebunden. - Die Sprachbildung kann durch Naturerfahrungen enorm inspiriert werden, auch weil die Atmosphäre
in offenen Naturräumen günstig ist – oftmals entspannt und konzentriert zugleich. Sprache bildet sich
in bedeutsamen Situationen, die in der abenteuerlichen und geheimnisvollen Natur reichlich eintreten. - Das Streben nach Selbständigkeit wird z.B. durch die vielfältigen abenteuerlichen Bewegungsmöglich-
keiten unterstützt. Dies lässt sich auch auf Neugierprozesse beziehen, die in der Natur häufig ohne wei-
teres Zutun oder Initiieren der Erwachsenen von den Interessen der Kinder selbst ausgehen können. - Die Anstrengungsbereitschaft und die Widerstandsfähigkeit werden gefordert, wenn z.B. Wind und
Wetter auszuhalten sind oder man sich selbst spürt, wenn man ermüdet ist, friert oder schwitzt und
lernt, darauf zu reagieren. - Die Fähigkeit zur Selbstregulierung der Kinder durch Ausgleich, Ruhe und Stille wird gefördert, denn
offene Naturräume überfluten nicht mit Reizen und ermöglichen auch Phasen nicht-gerichteter, an-
strengungsloser Aufmerksamkeit - Gemeinschaftserfahrungen und das Gemeinschaftsgefühl können beim längeren Draußensein, bei
dem mit anderen zusammen Abenteuerliches und Spannendes erlebt wird, eine besondere Quali-
tät haben. Die Kinder sind aufeinander angewiesen, zeigen sich gegenseitig Staunenswertes, lösen gemeinsam Probleme, planen und bauen zusammen große Buden und Verstecke, was in geschlos-
senen und zweckgebundenen Räumen so nicht ohne weiteres möglich ist. - Eine zunehmende Vertrautheit mit der natürlichen Umgebung schafft eine Beziehung z Natur. Hal-
ten wir uns viel in bestimmten Räumen auf, halten sich diese Räume auch in uns auf. Gerade wenn Naturbegegnungen erfüllte Erfahrungen nach sich ziehen, wenn mit Natur bedeutsame, vielleicht
geliebte Orte assoziiert werden und sich innere Bilder verfestigen, dann ist der Schritt vom Schätzen
zum Schützen von Natur wahrscheinlicher. In der Umweltbildung ist schon lange bekannt, dass ho-
hes Umweltbewusstsein und umweltbewusstes Handeln weit auseinanderklaffen können. Eine ober-
flächlich positive Einstellung gegenüber Natur kann schließlich mit einem naturvergessenen Alltag einhergehen
>>> zur Arbeitshilfe:
„Haben Regenwürmer Zähne? – Natur- und Waldpädagogik in Kindertageseinrichtungen“ (externer Inhalt)
Urheberrechtshinweis
Alle Rechte an dem Artikel und an dessen Auszügen liegen ausschließlich bei dem Autor: Martin Vollmar, bsj Marburg als auch beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen, Frankfurt.
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